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Der Sowjetbürger im Mittelpunkt eines spannenden, erregenden Reports: sein Alltag, sein Denken, seine Hoffnungen, sein Platz im Staats ganzen. Neu an diesem Buch ist vor allem die ungewöhnliche Art, mit welcher Karl Kran, der viele Jahre als Korrespondent der Deutschen Presseagentur in der Sowjetunion gelebt hat, die farbige Information mit der politischen Analyse verbindet — dies mit jener Fachkenntnis, die es ihm erlaubt, auch den Fragen, warum es so und nicht anders ist, auf den Grund zu gehen. Fern von abstracter Ideologie, macht er den Leser mit Wesen, Denken und Umwelt des sowjetischen Menschen vertraut und lässt ihn bislang Unverständliches begreifen. So werden die großen Linien sichtbar — von der konkreten Existenz des einzelnen Bürgers bis hin zur Wirklichkeit eines mächtigen Staates, der den Menschen, bedrückend und hoffnungsgebend zugleich, umfasst.
Einkommen, Industrie, Bildung, Steuern, Liebe, Ehe, Alkohol, Kindererziehung, Kriminalität und nicht zuletzt die fortwährende Kollision des einzelnen mit der Bürokratie all dies gehört, wie vieles andere zur sowjetischen Realität, die der Verfasser mit unbekannten Fakten und Bildern wiedergibt. Karl Kran kam 1964 zur Deutschen Presse Agentur ( DPA ) die ihn 1965 für sechs Jahre nach Moskau als politischer Korrespondent entsandte.
Am 31.03.1973 erschein anlässlich des Breschenjew Besuchs in Deutschland ein Artikel in der regierungsnahen „ISWESTIA" mit dem Titel „An den Fronten des ideologischen Kampfes – Dem Lauf der Zeit zuwider“. Der Autor S.Tossunjan legt dabei ein Schwergewicht auf die im westdeutschen Buchhandel vorhandene aktuelle Literatur über die Sowjetunion.
Hier wurde dem Buch von Karl Kran aus sowjetischer Sicht mangelnder „Objektivität“ vorgehalten. „…Der Verfasser eines dicken Buches im Glanzumschlag, erscheinen im Verlag Bechtle im Jahre 1973, ist Karl Kran. Dieser war unlängst bei uns. Eineinhalb Jahre arbeitete er als Vertreter der deutschen Presseagentur dpa in Moskau. Die einflussreiche bürgerliche Zeitung „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ widmete dem Buch Krans am 23. Februar eine Rezension. Hier das was sie schrieb: „ Die gesamte sowjetische Wirklichkeit wurde durch Kran auf den Grauen Alltag reduziert. Der technische Fortschritt und das Geistesleben der Sowjetunion interessiert den Autor des Buches nicht“ Zum Schluss fragt die Zeitung nicht ohne Grund: Kann eine derartige Anhäufung von Heraussuchendem eine Vorstellung über die sowjetische Wirklichkeit geben? ….
Anmerkung: die Rezension in der FAZ vom 16.02.1973 „Grau empfundener Alltag“ wurde von Hermann Pörtzgen geschrieben, dem einzigen besprochenen Autor in der ISWESTIA , dem der Autor Tossunjan „Objektivität“ gegenüber der Sowjetunion bescheinigt. Der originale Schlusssatz in der FAZ war übrigens: “ Es erhebt sich die Frage, ob aus einer Häufung ärgerlicher Misslichkeiten tatsächlich die sowjetische Wirklichkeit von heute oder ein trügerisches Zerrbild herausschaut“. Tossunjan durfte „Häufung ärgerlicher Misslichkeiten“ nicht verwenden, weil er ja dann unter Zitierung des FAZ Artikels die zwar vorhandenen aber immer geleugneten Misslichkeiten in der UDSSR einem breiten Publikum bestätigt hätte.
Zum Thema -Journalisten in der Sowjetunion- soll verwiesen werden auf: Lüneburger Ost-Akademie (1973), Die Sowjetunion einst und heute von innen gesehen und erlitten“ Seite 61, in: Vierteljahresheft „Deutsche Studien“ März 1973.
"EINLEITUNG
Für einige Minuten erstarrte das quirlige Leben im Grusinski Pereulok, in der Grusinischen Quergasse. Unter den Fenstern unserer Wohnung in Moskau klang die Moll-Melodie des Trauermarsches von Chopin auf: eine Sowjetbürgerin wurde zu Grabe getragen. Den Leichenzug eröffneten Bekannte, Kameradinnen und Kameraden vom Arbeitsplatz, einige junge Mädchen. Sie trugen Kränze und Nadelhölzer stecke, auf denen knallbunte Papierblumen in das Grau dieses Vorfrühlingsnachmittags hineinglühten.
Der Gruppe folgten vier Musikanten—Trompete, Flügelhorn, Ventilposaune, Baßtuba. Die Qualität des Klangkörpers lag zwischen braver Militärmusik und musischer Laienarbeit, so dass die Kickser des Flügelhornes und die hörbare Kurzatmigkeit des Tubabläsers angemessen entschuldigt waren. Vor dem Sarg mühte sich ein Mann als Lastträger ab. Er hatte sich den graugestrichenen Sargdeckel über die Schultern gezogen und glich aus der Perspektive unseres Balkons einer lang gestreckten Schildkröte mit zwei durchgedrückten Beinen.
Hinter ihm trugen vier kräftige Männer den offenen Sarg. Die Tote unbestimmbaren Alters mit eingefallenen Schläfen war fest in ein weißes, mit Papierblumen bestecktes Laken eingeschlagen. Den Abschluss des Trauerzuges bildete eine Menschentraube, Verwandte, die sich um einige laut klagende Frauen drängten. Am Ende der Straße wartete ein gedrungener, bullig aussehender Bus. Die in die rückwärtige Wand geschnittene Klappe wurde angehoben. Der Träger stülpte den Deckel über den Sarg, den man mit einem gleitenden Stoß in den Bus hinein schob. Die Kränze und Gestecke folgten, bevor die Trauergemeinde den Bus und einige planenbedeckte Lastwagen bestieg. Dann trat diese Moskauerin ihre letzte Fahrt zu einem der Friedhöfe an, die weit draußen an der Peripherie der Millionenstadt für normal sterbliche Sowjetbürger angelegt worden sind.
Ein Leichenzug, wie er dutzendfach täglich von der gen Abteilung der Rayon Verwaltung organisiert dennoch ein zum Nachdenken anregender Vorgang diesem Vorfrühlingstag zu Grabe getragene Frau, ‘Werklätige in einer in einer Stoffdruckerei im Krasnaja Presnja-Rayof wurde am dritten Tage ihres Dahinscheidens zu Grabe gefahren hatte mit einem Mann in einem kleinen Zimmer gelebt. In diesem Zimmer hatte sie auch ihre letzten drei Tage und Nächte im Sarge liegend verbracht, nachts vom Sargdeckel bedeckt, während der Mann daneben im Bett schlief.
Der Grund für diese hautnahe Nachbarschaft von Leben und Tod? Leichenhallen gibt es auf sowjetischen Friedhöfen nicht oder nur in völlig unzulänglicher Zahl. Rechtgläubige bahren ihre Toten bis zur Beisetzung in der Vorhalle der Kirsche auf, in der Trapesnaja, auf. In den Krankenhäusern hat man zu diesem Zwecke bestimmte Räume reserviert. Aber was ist wenn man zu Hause stirbt? Ich fragte eine verwitwete Ukrainerin, wie sie auf dem Dorfe lebend, seinerzeit ihre toten aufgebahrt habe. Ungerührt meinte sie: »Es war ein sehr schönes Tagsüber, wenn die Leute kamen, bahrten wir ihn im Sarg auf. Nachts haben wir alles unter das Bett geschoben.
»Njedoststok« nennt der Russe das, wenn keine Leichenhalle vorhanden ist; wenn kein Motorenöl angeboten wird; wenn elektronische Datentenverarbeitungsgeräte wegen mangelhafter Magnetofonbänder massenweise ausfallen und so Spitzenprogramme der sowjetischen Forschung in Frage gestellt werden; wenn Bauxit zur unrentablen Gewinnung von Aluminium fast 3000 Kilometer weit mit der Bahn befördert den muß; wenn im Handel Mullwindeln für Wegwerfwindeln und Wegwerfbinden für Frauen unbekannt sind und Gemüse und Obst trotz dringender Nachfrage wegen mangelndem Transportraumes massenhaft verfaulen; …."
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Subjects
Russia, Politics and government, Social conditions, Sowjetunion, 1972, 1973, Breschenjew, History Sowjet UnionTimes
1965 - 1971Edition | Availability |
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aaaa
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Book Details
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Feedback?July 11, 2012 | Edited by Detlev Kran | Information about Newspaper ISWESTIA |
July 10, 2012 | Edited by 87.153.55.86 | Added new cover |
July 10, 2012 | Edited by 87.153.55.86 | Added new cover |
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