Ich bin anders als du denkst. Ausstellungskatalog

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Last edited by Andreas Bohnenstengel
August 21, 2017 | History

Ich bin anders als du denkst. Ausstellungskatalog

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Ausstellungskatalog

Publish Date
Publisher
Down Kind e.V.
Language
German

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Book Details


Table of Contents

Down-Syndrom, ein Menschenbild im Wandel
Es ist noch gar nicht lange her, da verurteilte ein Richter im oberpfälzischen Weiden einen Frauenarzt zu lebenslänglichen Unterhaltszahlungen, weil seine Patientin ein Kind mit Down-Syndrom geboren hatte. Die Begründung der Eltern für ihre Klage: Bei einer Fruchtwasseruntersuchung wäre die Behinderung bemerkt worden und somit ein Abbruch der Schwangerschaft sinnvoll gewesen.
Ein nüchternes Urteil, das viele Fragen aufwirft. Nach dem Sinn des Lebens zum Beispiel oder wann ein Leben überhaupt lebenswert ist. Fragen nach Recht oder Unrecht und Fragen nach Toleranz in der Gesellschaft.
Ein kurzer Blick in die Geschichte der Philosophie zeigt, dass solche fragestellungen schon immer die Menschheit bewegt haben. Sokrates und dann Platon waren die ersten uns bekannten Philosophen, die sich für die Moral des Menschen und die Ideale der Gesellschaft interessierten. Wie man mit Schwächen oder Behinderten umgeht, wurde zwar nicht ausführlich erörtert, aber Platon schreibt in seinem Werk: „Der Staat“ einen Satz, in dem er Richtern und Ärzten rät „...sie sollen sich nur der an Leib und Seele wohlgeratenen Bürger annehmen. Die körperlich Ungeratenen und Unheilbaren sollen sie töten.“
Sicherlich entsprach das im vierten Jahrhundert vor Christus dem allgemeinen Gedankengut. Menschen mit Behinderung wurden geboren – soviel ist klar: Medizinisch versorgt wurden sie wohl nicht, denn zusätzliche Esser konnten sich die meisten Familien sowieso nicht leisten. Es scheint sogar manchmal üblich gewesen zu sein, dass man missgebildete oder geistig behinderte Kinder in Schluchten warf oder aussetzte.
Im Jahr 460 v. Chr. Wurde Hippokrates auf der Insel Kos geboren und mit ihm vollzog sich zumindest in der Ärzteschaft ein gewisser Wandel im Denken. „Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken nach bestem Vermögen und Urteil und von ihnen Schädigung und Unrecht fernhalten“ – so lautet ein Satz im noch heute von Ärzten geleisteten Hippokratischen Eid und weiter: „Auch werden ich nie einer Frau ein Mittel zu Vernichtung keimenden Lebens geben.“
Unbeeindruckt davon entwickelte Aristoteles die Gedanken seines Lehrers Platon weiter. Für ihn war Vernunft das wichtigste Kennzeichen des Menschen und dieser würde nur dann glücklich werden, wenn er alle seine Fähigkeiten und Möglichkeiten entfalten könne. Unverständnis und Abscheu hat Aristoteles für die übrig, die dazu nicht in der Lage sind.
Erst Jesus brachte Menschlichkeit ins Spiel. Er lehrte, dass bedingungslose Nächstenliebe nicht unterscheidet zwischen arm und reich, zwischen klug und dumm, zwischen krank und gesund und ähnlichem mehr. Etwa 400 Jahre später hat sich dann der Mönch Augustinus darangewagt, das christliche Menschenbild dem antiken zu verknüpfen.
In diesem System, das eine recht nüchterne Haltung zu ethischen und moralischen Fragen beinhaltete, bewegten sich die meisten Philosophen, bis im 18. Jahrhundert Hegel die Bühne betrat. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern glaubte er nicht mehr an „ewige Wahrheiten“ oder an eine „zeitlose Vernunft“. Was richtig und was falsch ist, kann seiner Meinung nach nur die Geschichte zeigen. Nur was vernünftig ist, ist lebensfähig – behauptet Hegel. Die christliche Idee der Menschenliebe ist aus philosophischem Gedankengut damit erstmal wieder verschwunden. Im Jahr 1859 dann erschien das Hauptwerk von Charles Darwin, dem Begründer der modernen Naturwissenschaft. Der Titel des Werkes heißt übersetzt: „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese oder das Erhaltenbleiben der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein“. Darwin ging – kurz gesagt – davon aus, dass alle jetzt lebenden Pflanzen und Tiere von früheren, primitiveren Formen abstammen. Außerdem erklärte er, dass diese Entwicklung der natürlichen Auslese zu verdanken sei. Damit war der Weg bereitet für das nationalsozialistische Gedankengut, in dem nur die sogenannten Herrenrasse ein Recht auf Leben hatte. Als minderwertig und deshalb nicht erhaltenswert galten alle, die von der Norm abwichen.
Fast zur gleichen Zeit wie Charles Darwin lebte in England ein Kinderarzt, der John Langdon-Down hieß. Er beschrieb schon 1866 genau die Merkmale der Kinder mit einer Trisomie 21 (der medizinische Fachausdruck) – das heutzutage nach ihm benannte Down-Syndrom. Natürlich wusste er damals noch nichts von dem dreifach vorhandenen 21. Chromosom. Dennoch definierte er mit erstaunlicher Genauigkeit die Eigenschaften, medizinische Besonderheiten und Probleme. Langdon-Down war es allerdings auch, der den Begriff des „Mongolismus“ prägte, der noch heute immer wieder in Schulbüchern, Lexika oder sogar medizinischen Fachbüchern auftaucht.
Akzeptiert waren Menschen mit Down-Syndrom auch danach noch lange nicht. Im Gegenteil. Gerade der Anfang des 20. Jahrhunderts war mehr denn je geprägt von der idee, nur „gesundes Erbgut“ zu schützen. Es musste also gar nicht so viel Überzeugungsarbeit geleistet werden als die Nazis damit begannen, Menschen, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen, auszusondern und später sogar zu töten. Ethik und Moral sind eben dehnbare Begriffe und die Ideologen des III. Reiches hatten den Dreh raus, für ihre Ziele passende moralische Begründungen zu liefern.
Wie erging es Familien mit behinderten Angehörigen in der Zeit um 1930? Sie waren stark belastet. Unterstützung gab es nur innerhalb des Familienverbandes oder in der Nachbarschaft. Fördermöglichkeiten waren ganz unbekannt. Menschen mit Down-Syndrom blieben normalerweise bei ihren Familien. Häufig waren sie die Jüngsten in einer langen Geschwisterreihe und deshalb gehätschelt und geliebt. Sie lebten mit auf dem Hof, waren zu Arbeiten im Haushalt oder im Familienbetrieb durchaus fähig und deshalb geschätzte Mitglieder der Gemeinschaft. Leider funktionierte das jedoch nicht immer. Gerade Eltern mit schwerer behinderten Kindern oder in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen gaben diese in Heime, weil dort wenigstens die Chance bestand, dass sie ordentlich versorgt und vielleicht sogar gefördert wurden.
Mit Versprechungen, dass man für das Kind Gutes tun könne, begannen die Nazis in den 1940er Jahren Angehörige davon zu überzeugen, dass man behinderte Kinder weggeben sollte. Halb freiwillig, halb gezwungen ließen sich viele überzeugen.
Als dann die große Vernichtungsaktion „T4“ begann, bei der „lebensunwertes Leben“ von psychisch Kranken und geistig Behinderten vernichtet werden sollte, gab es allerdings Widerstände- Familien weigerten sich - mal mit mehr, mal mit weniger Energie – ihre Angehörigen einfach auszuliefern. Unzählige Briefe sind erhalten, in denen in den Heimen nachgefragt wird, wo der Sohn oder die Tochter jetzt sei, wie es ihrem Kind gehe, wann man es besuchen könne. All das deutet darauf hin, dass nun ungeachtet der offiziellen Meinung doch oft eine innige Beziehung zu den behinderten Angehörigen hatte.
Die Machthaber merkten schnell, dass sie Probleme bekommen könnten, wenn sie allzu offensichtlich behinderte Menschen töteten. Deshalb wurde der Tod so gut es ging getarnt. „Lungenentzündung“, „Herzversagen“ und ähnliches stand auf den Totenscheinen.
Wer in dieser Zeit ein Kind mit Down-Syndrom bekam, tat alles, um dies geheim zu halten. Schuldgefühle peinigten die Eltern. Denn schließlich war die offizielle Meinung, dass ein derart unnützes Mitglied der Gesellschaft im Grunde kein Recht auf Nahrung und Versorgung habe. Noch viele Jahre später saß den Eltern dieser Schock im Nacken. Eingeschüchtert und eifrig bemüht, völlig unauffällig zu bleiben, versuchten sie gar nicht erst, Forderungen an Staat und Gesellschaft zu stellen.
Anfang der 1960er Jahre änderte sich das. Die Wirren der Nachkriegszeit waren überstanden. Auch Eltern von behinderten Kindern entwickelten plötzlich Selbstbewusstsein. Sie gründeten Initiativen wie die „Lebenshilfe“. Es entstanden Kindergärten, Schulen und Werkstätten für behinderte Menschen. Ärzte kümmerten sich um eine bessere medizinische Versorgung, Krankengymnasten beschäftigten sich mit Bewegungsmustern und Heilungsmöglichkeiten. In diese Zeit fällt auch die Entdeckung der Chromosomen. Nun konnte man endlich wissenschaftlich abgesichert sagen, ob ein Mensch tatsächlich ein Chromosom zuviel hat oder nicht. Vieles wurde ausprobiert, gegründet und in Gang gesetzt. Die Aufbruchstimmung tat allen gut.
Heute ist die Begeisterung der Anfangszeit verflogen. Neue Fragen quälen. So hat sich in den letzten 20 Jahren die pränatale Diagnostik rasant entwickelt. Schon bei neun Wochen alten Föten ist es möglich, Gendefekte oder andere Störungen ausfindig zu machen. Für Eltern, aber auch für Ärzte sind dadurch ganz andere Probleme aufgetaucht. Wieder stehen ethische und moralische Fragen im Raum, die keiner allgemeingültig beantworten kann. Nach einer Studie der Universität Münster wären immerhin knapp 20 Prozent der Frauen bereit, eine Schwangerschaft abzubrechen, wenn die Gefahr bestünde, dass sie ein Kind mit Neigung zu Übergewicht bekämen. Die medizinischen Fortschritte machen es eben immer wahrscheinlicher, dass man makellose Wunschkinder in die Welt setzen kann.
Diesem Trend versuchen sich zunehmend Elterngruppen entgegenzustellen. Mit Ausstellungen, Artikeln in Zeitschriften, Büchern und Zeitungen bemühen sie sich, das Bild der Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit zurechtzurücken. Down-Syndrom spielt dabei eine zentrale Rolle, denn die meisten Kinder, die mit einem genetischen Defekt zur Welt kommen, haben eine Trisomie 21.
Inzwischen sind auch individuellere Fördermöglichkeiten gefragt. So ist man als Mutter oder Vater eines Kindes mit Down-Syndrom meist nicht mehr damit zufrieden, einen Platz in einer heilpädagogischen Einrichtung zu bekommen. Integration heißt das Zauberwort.
Doch man darf sich als Angehöriger eines behinderten Menschen nicht vormachen, dass Fortschritte auf dem Gebiet der Integration tatsächlich auch von der Mehrheit der Bevölkerung mit getragen werden. Im Gegenteil. Immer wieder müssen alte Vorurteile ausgeräumt werden, immer wieder muß die Solidarität der Gesellschaft neue eingefordert werden. Gerade in Zeiten, in denen es vielen nicht so gut geht – Arbeitslosigkeit und der Verlust von Perspektiven spielen dabei eine Rolle- sind die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft in Gefahr, vergessen zu werden.
Für die Zukunft bedeutet das: Die Bemühungen um gesellschaftliche Akzeptanz müssen weitergehen, denn die verfeinerten Methoden der pränatalen Diagnostik werden in Zukunft noch früher, noch sicherer und noch risikoärmer Vorhersagen über genetische Anlagen zulassen. Dank der liberalen Gesetzgebung sind ja schon jetzt Abtreibungen bis kurz vor dem Geburtstermin möglich – und werden auch genutzt! Für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom bedeutet das: Der Druck wird immer größer werden. Vielleicht wird man eines Tages nicht mehr nur mit verständnislosen Reaktionen von Freunden und Nachbarn konfrontiert werden, sondern mit noch ganz anderen Schwierigkeiten. So ist denkbar, dass – ähnlich wie in den USA – Krankenkassen die Aufnahme von Kindern mit einer Behinderung verweigern, weil sie möglicherweise höhere Kosten verursachen als andere. Auch muss man befürchten, dass, einmal gewährte Vergünstigungen wie Pflegegeld, Steuerersparnisse und Fahrgelder wieder gestrichen werden, weil man ja heute kein Kind mit Behinderung mehr bekommen müsste! Und um das Horrorszenario komplett zu machen, könnte man sich vorstellen, dass die speziellen Schulen und Einrichtungen nicht mehr ausreichend finanziell ausgestattet werden, so dass vor allem Kinder mit größeren Schwierigkeiten endgültig durch das soziale Netz fallen.
Natürlich haben Eltern von Kindern mit Down-Syndrom auch Zukunftsträume und die sehen so aus: Das Kind wächst möglichst normal mit anderen Kindern zusammen auf. Es wird nebenher individuell gefördert und kann deshalb seine ganz eigenen Fähigkeiten entwickeln, um schließlich als Erwachsener ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Das hört sich einfach an, ist jedoch, ein sehr hoch gestecktes Ziel! Es könnte vielleicht erreicht werden, aber nur dann, wenn tatsächlich ein Wandel in den Köpfen der Menschen stattfindet. Dafür muss allerdings noch eine Menge getan werden!
Angelika Pollmächer

Edition Notes

Published in
Munich

The Physical Object

Dimensions
21 x 29,7 x centimeters

ID Numbers

Open Library
OL26344391M

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History

Download catalog record: RDF / JSON
August 21, 2017 Edited by Andreas Bohnenstengel Edited without comment.
August 20, 2017 Edited by Andreas Bohnenstengel Edited without comment.
July 24, 2017 Edited by Andreas Bohnenstengel Edited without comment.
June 26, 2017 Created by Andreas Bohnenstengel Added new book.