An edition of Sphären des Zersetzenden (1994)

Sphären des Zersetzenden

ein Beitrag zur Jaspers-Forschung

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February 18, 2013 | History
An edition of Sphären des Zersetzenden (1994)

Sphären des Zersetzenden

ein Beitrag zur Jaspers-Forschung

I. Einleitung

Bei dieser Untersuchung handelt es sich um einen Versuch, das Denken von Karl Jaspers im Hinblick auf die Begriffe Verfall und Vernichtung abzutasten. Beide werden von Jaspers nur hin und wieder benutzt, sie stellen in seinem Werk keine eigenständigen Gedankenkreise dar. Ihre Bedeutung für das Denken von Karl Jaspers soll mit dieser Untersuchung nachgewiesen werden.
Es sind zum einen der langsame, kaum merkliche Verfall, zum anderen die plötzliche, aber um so grausamere Vernichtung: beide als Katastrophen des menschlichen Denkens und Handelns mit der Aussicht einer totalen Vernichtung allen menschlichen Lebens oder zumindest eines menschenwürdigen Lebens, welche, man kann es den Werken von Jaspers entnehmen, zwangsläufig eintritt.

Um diesen Nachweis zu führen, wird besonders die Primärliteratur benutzt, aber daneben auch andere geistesverwandte literarische Erzeugnisse, die in einen (allerdings begrenzten) gedanklichen Zusammenhang mit Jaspers´ Denken gebracht werden können. Es scheint dies eine gute Methode zu sein, um zu zeigen, daß Jaspers nicht isoliert zu sehen ist.
Außerdem wird natürlich Sekundärliteratur zu Jaspers herangezogen. Denn sie kann wertvolle Anregungen zum Thema geben. Es wurde schon ausgiebig über Jaspers geforscht, so z. B. über die Grenzsituationen oder seine Äußerungen zu aktuellen politischen Themen und Tendenzen.

Es wird versucht, diese Sekundärliteratur vernünftig einzubringen: sie kann das kritische Bewußtsein gegenüber Jaspers fördern. Es geht nicht darum, Jaspers in einem unkritischen Vakuum zu belassen.
Aber Jaspers regt von sich aus schon zu teilweise heftiger Kritik an, da seine Gedanken aufgrund eines hohen, die soziale und politische Gegenwart vernichtend beurteilenden, moralischen Anspruchs extrem ausgeformt sind. Dieser Anspruch ist sehr theoretisch und zuweilen gegenwartsfremd.
Was dem Aufbau der Untersuchung anbetrifft: sie geht von den gesellschaftskritischen Äußerungen von Jaspers aus, die aber mehr und mehr in die in den fünfziger Jahren erschienenen Werke "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte" sowie "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" münden; dann werden verstärkt zwei Werke über die politische Situation in der Bundesrepublik berücksichtigt, mit der er hart ins Gericht geht.

Verfall und Vernichtung... es tauchen die zentralen Begriffe auf und werden zusammenhängend mit den anderen verwandten Begriffen wie z. B. Katastrophe, Unheil, Zerstörung, Ende, Untergang gesehen, wodurch es möglich wird, Jaspers´ Gedanken zum Thema in eine Ordnung zu bringen, die ein Bild ergibt, welches eine eindeutige Tendenz widerspiegelt: die Tendenz zu Verfall und Vernichtung des Daseins des Menschen als einzelnem und der Daseinsordnung, in deren Zusammenspiel Jaspers eine gewichtige Problematik entdeckt hat, die nicht außer acht gelassen werden darf; sie muß vielmehr genauestens dargestellt und kritisiert werden, weil sie auch auf die Gegenwartszustände und Entwicklungen im vereinigten Deutschland weist, worin die bleibende, vielleicht noch nicht erkannte Bedeutung von Jaspers´ Denken liegt.

Am Abgrund stehend, das heißt, daß wir in einer Zeit leben, in einem Jahrhundert der technischen Entfaltung, da die Technik mehr Zweifel und Unsicherheit sät als positive Eigenschaften hat, die dem Menschen helfen können, seine Selbstverwirklichung voranzutreiben. Die Technik ist laut Jaspers dieser Abgrund, hinter welchem allerdings Hoffnung aufleuchtet.
Unzweifelhaft hat Jaspers eine hohe Aktualität angesichts der gegenwärtigen Vorkommnisse in Deutschland. So mancher Zeitgenosse meint sich am Abgrund stehend zu sehen, und Zweifel am Sinn und an der Effektivität der parlamentarischen Demokratie tauchen auf. Als konservativ einzustufender Denker stand er der Gegenwartspolitik in den deutschen Parlamenten äußerst kritisch gegenüber und reflektierte über Möglichkeiten des Bessergestaltens. Deshalb ist der Wert seiner Reflexionen für die heutige Parteiendiskussion als hoch einzuschätzen.

Es scheint aber so zu sein, daß er als ein harscher Kritiker des deutschen Parlamentarismus, der Verfilzung und der Oberflächlichkeit des Denkens und Handelns von Politikern, zu selten erinnert wird.
Mit dieser Untersuchung kann sicherlich ein Beitrag dazu geleistet werden, daß Jaspers als ein kompetener Philosoph der Themen und Zusammenhänge, die in unserer Zeit von von höchstem Interesse sind, wieder aufmerksamer betrachtet und analysiert wird.

Jedoch ist ein kritischer Blick auf Jaspers´ Denken vonnöten. Er ist nämlich schnell am Verwerfen und Verdammen, setzt sich schnell in die weit entfernen geistigen Regionen ab, wo es doch darum gehen muß, die nötige Verbindung zum Konkreten der gesellschaftlichen Realität zu erhalten oder erst herzustellen, falls sie noch nicht vorhanden ist.
Realität wird in dieser Untersuchung im engen Sinne verstanden, also: Politikbereich, moderne Daseinsordnung und theoretische Reflexion darüber, wobei die obigen Zentralbegriffe stets im Mittelpunkt der Analyse stehen müssen, weil sie der Leitfaden für dieselbe sind. Und weil sie schließlich die wesentliche reale Bedeutung für das Gegenwartsverständnis von ABGRUND, VERFALL UND VERNICHTUNG besitzen. Unser Dasein wird unter Verwendung dieser Begriffe, durch das Denken von K. Jaspers hindurch, begriffen. Das stellt eine Bereicherung dar, weil die Schönredner unserer Gegenwartspolitik nur zu gern manches zu vernebeln trachten, was unbedingt ans Licht gehört. Das ist die Wahrheit.

An dieser Stelle sei ein Kurzabriß des Jaspers´schen politischen Denkens angebracht, damit der Leser sogleich eine Orientierung hat und sich nicht verloren fühlt. Wesentliches ergibt sich nämlich schon aus seinem beruflichen Werdegang, an dessen Beginn seine Tätigkeit als Psychiater steht, als er die sehr bekannte "Psychologie der Weltanschauungen" verfaßte. Er erkannte schon im Laufe der Arbeit daran, und ließ diese Erkenntnisse in die Arbeit einfließen: Verfestigungen des Menschseins, die nihilistischen Ansichten und Verhaltensweisen. Mit diesem Werk nahm seine Lehre der Grenzsituationen ihren Anfang: der Mensch vor dem Letzten in den Situationen, die das Nichts dem Blick und dem Bewußtsein desjenigen öffnen sollen, der sie zu bewältigen hat. Das ist dann das Wagnis des Daseins in Reinform, DER ABGRUND WIRD DEM MENSCHEN BEWUßT.

Und er, der das erleidet, kommt sich selbst näher. Auf der Grenze seiend, kann er das Nichts abtasten, während in Tod, Schuld, Leiden und Kampf sich das Absolute drohend anbietet.
Und wir wissen deshalb: die Begriffe Verfall und Vernichtung haben ihre volle Berechtigung in ihrem Hervorgezogensein. Denn auch in ihnen kommt das Nichts zum Ausdruck. Es stellt sich die Frage, ob jetzt die einmalige Vernichtung oder das langsame Sterben, oder das letztere als Vorbereitung auf das plötzliche Nichts eintreten. Das Atominferno kommt nicht von heute auf morgen. Die Normalität versteckt diesen Abgrund. Heíßt Menschsein im Sterben-sein?
Das wäre dann ein Prozeß des Untergehens. Aber nach Jaspers entscheiden immer Menschen, sie tragen die Verantwortung. Andererseits beschwört Jaspers die Unmündigkeit der Massen und steht in der Nachbarschaft zu Le Bon. Sei seien verloren, die Menschen, wenn sie nicht die wahre Initiative ergreifen können. Und indem er diese Grundansicht vertritt, kritisiert er die Gegenwartsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, ebenfalls die der Weimarer Republik.

Das Verhalten bedeutender Wissenschaftler in der NS-Zeit ist interessant. Während der Nazi-Herrschaft betätigte sich Jaspers nicht öffentlich, stand bewußt im Hintergrund. Danach fand er zu einer wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit zurück und verfaßte seine philosophische Logik (Von der Wahrheit, 1947). Er schrieb sie in den Jahren des Terrors. Schon 1932 war er mit seinem grundlegenden Werk PHILOSOPHIE erfolgreich gewesen. Nach dem II. Weltkrieg etablierte er sich als eine moralische Autorität. Unter der Bedrohung durch die modernste Waffentechnik, der Atombombe, regte sich sein politisches Gewissen ganz enorm. Angesichts ihres Vorhandenseins sollten in den Fünfzigern die Vernunft und der Wille zur Umkehr des Menschen und mit ihm des politischen und sozialen Systems gelingen. Damit hätte sich, im Rückblick gesehen, möglicherweise der Mensch zu einer Weltfriedensordnung verhelfen können.

Man soll im Fortschreiten des Lesens dieser Untersuchung bemerken, daß dies eine allzu optimistische Erwartung seitens Jaspers gewesen ist. Sie zeichnet sich im wesentlichen durch eine Polarisierung aus, die die moderne Daseinsordnung als verfallend hinstellt, den einzelnen Menschen hingegen durch die Zuweisung bedeutender Qualitäten autonomen Handelns zu idealisieren versucht.
Es wird in der Untersuchung der Versuch unternommen, nicht nur Karl Jaspers´ Denken, welches von den Wurzeln seiner Existenzphilosophie bis hin zur Tagespolitik reicht, wiederzugeben, seine Art der Behandlung von menschlichen und weltumspannenden Problemen in Bezug auf Totalitarismus und Demokratie (und ihre bewußtseinsbildenden Momente) zu rühmen, sondern die als anspruchsvoll in ihren Zielen dastehende Philosophie von Jaspers, auch und gerade was die politische Philosophie angeht, ein wenig in ihre Schranken zu weisen, um damit den weiten Horizont, den er in seinen Möglichkeiten aufzubrechen scheint, und damit immer wieder aus einer menschenverachtenden Philosophie entweichen kann, als einen Horizont zu verstehen, der nicht ganz so weit reicht -

I. Einleitung

Bei dieser Untersuchung handelt es sich um einen Versuch, das Denken von Karl Jaspers im Hinblick auf die Begriffe Verfall und Vernichtung abzutasten. Beide werden von Jaspers nur hin und wieder benutzt, sie stellen in seinem Werk keine eigenständigen Gedankenkreise dar. Ihre Bedeutung für das Denken von Karl Jaspers soll mit dieser Untersuchung nachgewiesen werden.
Es sind zum einen der langsame, kaum merkliche Verfall, zum anderen die plötzliche, aber um so grausamere Vernichtung: beide als Katastrophen des menschlichen Denkens und Handelns mit der Aussicht einer totalen Vernichtung allen menschlichen Lebens oder zumindest eines menschenwürdigen Lebens, welche, man kann es den Werken von Jaspers entnehmen, zwangsläufig eintritt.

Um diesen Nachweis zu führen, wird besonders die Primärliteratur benutzt, aber daneben auch andere geistesverwandte literarische Erzeugnisse, die in einen (allerdings begrenzten) gedanklichen Zusammenhang mit Jaspers´ Denken gebracht werden können. Es scheint dies eine gute Methode zu sein, um zu zeigen, daß Jaspers nicht isoliert zu sehen ist.
Außerdem wird natürlich Sekundärliteratur zu Jaspers herangezogen. Denn sie kann wertvolle Anregungen zum Thema geben. Es wurde schon ausgiebig über Jaspers geforscht, so z. B. über die Grenzsituationen oder seine Äußerungen zu aktuellen politischen Themen und Tendenzen.

Es wird versucht, diese Sekundärliteratur vernünftig einzubringen: sie kann das kritische Bewußtsein gegenüber Jaspers fördern. Es geht nicht darum, Jaspers in einem unkritischen Vakuum zu belassen.
Aber Jaspers regt von sich aus schon zu teilweise heftiger Kritik an, da seine Gedanken aufgrund eines hohen, die soziale und politische Gegenwart vernichtend beurteilenden, moralischen Anspruchs extrem ausgeformt sind. Dieser Anspruch ist sehr theoretisch und zuweilen gegenwartsfremd.
Was dem Aufbau der Untersuchung anbetrifft: sie geht von den gesellschaftskritischen Äußerungen von Jaspers aus, die aber mehr und mehr in die in den fünfziger Jahren erschienenen Werke "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte" sowie "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" münden; dann werden verstärkt zwei Werke über die politische Situation in der Bundesrepublik berücksichtigt, mit der er hart ins Gericht geht.

Verfall und Vernichtung... es tauchen die zentralen Begriffe auf und werden zusammenhängend mit den anderen verwandten Begriffen wie z. B. Katastrophe, Unheil, Zerstörung, Ende, Untergang gesehen, wodurch es möglich wird, Jaspers´ Gedanken zum Thema in eine Ordnung zu bringen, die ein Bild ergibt, welches eine eindeutige Tendenz widerspiegelt: die Tendenz zu Verfall und Vernichtung des Daseins des Menschen als einzelnem und der Daseinsordnung, in deren Zusammenspiel Jaspers eine gewichtige Problematik entdeckt hat, die nicht außer acht gelassen werden darf; sie muß vielmehr genauestens dargestellt und kritisiert werden, weil sie auch auf die Gegenwartszustände und Entwicklungen im vereinigten Deutschland weist, worin die bleibende, vielleicht noch nicht erkannte Bedeutung von Jaspers´ Denken liegt.

Am Abgrund stehend, das heißt, daß wir in einer Zeit leben, in einem Jahrhundert der technischen Entfaltung, da die Technik mehr Zweifel und Unsicherheit sät als positive Eigenschaften hat, die dem Menschen helfen können, seine Selbstverwirklichung voranzutreiben. Die Technik ist laut Jaspers dieser Abgrund, hinter welchem allerdings Hoffnung aufleuchtet.
Unzweifelhaft hat Jaspers eine hohe Aktualität angesichts der gegenwärtigen Vorkommnisse in Deutschland. So mancher Zeitgenosse meint sich am Abgrund stehend zu sehen, und Zweifel am Sinn und an der Effektivität der parlamentarischen Demokratie tauchen auf. Als konservativ einzustufender Denker stand er der Gegenwartspolitik in den deutschen Parlamenten äußerst kritisch gegenüber und reflektierte über Möglichkeiten des Bessergestaltens. Deshalb ist der Wert seiner Reflexionen für die heutige Parteiendiskussion als hoch einzuschätzen.

Es scheint aber so zu sein, daß er als ein harscher Kritiker des deutschen Parlamentarismus, der Verfilzung und der Oberflächlichkeit des Denkens und Handelns von Politikern, zu selten erinnert wird.
Mit dieser Untersuchung kann sicherlich ein Beitrag dazu geleistet werden, daß Jaspers als ein kompetener Philosoph der Themen und Zusammenhänge, die in unserer Zeit von von höchstem Interesse sind, wieder aufmerksamer betrachtet und analysiert wird.

Jedoch ist ein kritischer Blick auf Jaspers´ Denken vonnöten. Er ist nämlich schnell am Verwerfen und Verdammen, setzt sich schnell in die weit entfernen geistigen Regionen ab, wo es doch darum gehen muß, die nötige Verbindung zum Konkreten der gesellschaftlichen Realität zu erhalten oder erst herzustellen, falls sie noch nicht vorhanden ist.
Realität wird in dieser Untersuchung im engen Sinne verstanden, also: Politikbereich, moderne Daseinsordnung und theoretische Reflexion darüber, wobei die obigen Zentralbegriffe stets im Mittelpunkt der Analyse stehen müssen, weil sie der Leitfaden für dieselbe sind. Und weil sie schließlich die wesentliche reale Bedeutung für das Gegenwartsverständnis von ABGRUND, VERFALL UND VERNICHTUNG besitzen. Unser Dasein wird unter Verwendung dieser Begriffe, durch das Denken von K. Jaspers hindurch, begriffen. Das stellt eine Bereicherung dar, weil die Schönredner unserer Gegenwartspolitik nur zu gern manches zu vernebeln trachten, was unbedingt ans Licht gehört. Das ist die Wahrheit.

An dieser Stelle sei ein Kurzabriß des Jaspers´schen politischen Denkens angebracht, damit der Leser sogleich eine Orientierung hat und sich nicht verloren fühlt. Wesentliches ergibt sich nämlich schon aus seinem beruflichen Werdegang, an dessen Beginn seine Tätigkeit als Psychiater steht, als er die sehr bekannte "Psychologie der Weltanschauungen" verfaßte. Er erkannte schon im Laufe der Arbeit daran, und ließ diese Erkenntnisse in die Arbeit einfließen: Verfestigungen des Menschseins, die nihilistischen Ansichten und Verhaltensweisen. Mit diesem Werk nahm seine Lehre der Grenzsituationen ihren Anfang: der Mensch vor dem Letzten in den Situationen, die das Nichts dem Blick und dem Bewußtsein desjenigen öffnen sollen, der sie zu bewältigen hat. Das ist dann das Wagnis des Daseins in Reinform, DER ABGRUND WIRD DEM MENSCHEN BEWUßT.

Und er, der das erleidet, kommt sich selbst näher. Auf der Grenze seiend, kann er das Nichts abtasten, während in Tod, Schuld, Leiden und Kampf sich das Absolute drohend anbietet.
Und wir wissen deshalb: die Begriffe Verfall und Vernichtung haben ihre volle Berechtigung in ihrem Hervorgezogensein. Denn auch in ihnen kommt das Nichts zum Ausdruck. Es stellt sich die Frage, ob jetzt die einmalige Vernichtung oder das langsame Sterben, oder das letztere als Vorbereitung auf das plötzliche Nichts eintreten. Das Atominferno kommt nicht von heute auf morgen. Die Normalität versteckt diesen Abgrund. Heíßt Menschsein im Sterben-sein?
Das wäre dann ein Prozeß des Untergehens. Aber nach Jaspers entscheiden immer Menschen, sie tragen die Verantwortung. Andererseits beschwört Jaspers die Unmündigkeit der Massen und steht in der Nachbarschaft zu Le Bon. Sei seien verloren, die Menschen, wenn sie nicht die wahre Initiative ergreifen können. Und indem er diese Grundansicht vertritt, kritisiert er die Gegenwartsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, ebenfalls die der Weimarer Republik.

Das Verhalten bedeutender Wissenschaftler in der NS-Zeit ist interessant. Während der Nazi-Herrschaft betätigte sich Jaspers nicht öffentlich, stand bewußt im Hintergrund. Danach fand er zu einer wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit zurück und verfaßte seine philosophische Logik (Von der Wahrheit, 1947). Er schrieb sie in den Jahren des Terrors. Schon 1932 war er mit seinem grundlegenden Werk PHILOSOPHIE erfolgreich gewesen. Nach dem II. Weltkrieg etablierte er sich als eine moralische Autorität. Unter der Bedrohung durch die modernste Waffentechnik, der Atombombe, regte sich sein politisches Gewissen ganz enorm. Angesichts ihres Vorhandenseins sollten in den Fünfzigern die Vernunft und der Wille zur Umkehr des Menschen und mit ihm des politischen und sozialen Systems gelingen. Damit hätte sich, im Rückblick gesehen, möglicherweise der Mensch zu einer Weltfriedensordnung verhelfen können.

Man soll im Fortschreiten des Lesens dieser Untersuchung bemerken, daß dies eine allzu optimistische Erwartung seitens Jaspers gewesen ist. Sie zeichnet sich im wesentlichen durch eine Polarisierung aus, die die moderne Daseinsordnung als verfallend hinstellt, den einzelnen Menschen hingegen durch die Zuweisung bedeutender Qualitäten autonomen Handelns zu idealisieren versucht.
Es wird in der Untersuchung der Versuch unternommen, nicht nur Karl Jaspers´ Denken, welches von den Wurzeln seiner Existenzphilosophie bis hin zur Tagespolitik reicht, wiederzugeben, seine Art der Behandlung von menschlichen und weltumspannenden Problemen in Bezug auf Totalitarismus und Demokratie (und ihre bewußtseinsbildenden Momente) zu rühmen, sondern die als anspruchsvoll in ihren Zielen dastehende Philosophie von Jaspers, auch und gerade was die politische Philosophie angeht, ein wenig in ihre Schranken zu weisen, um damit den weiten Horizont, den er in seinen Möglichkeiten aufzubrechen scheint, und damit immer wieder aus einer menschenverachtenden Philosophie entweichen kann, als einen Horizont zu verstehen, der nicht ganz so weit reicht -

Publish Date
Language
German
Pages
92

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Edition Availability
Cover of: Sphären des Zersetzenden
Sphären des Zersetzenden: ein Beitrag zur Jaspers-Forschung
1994, VWB, Verlag für Wissenschaft und Bildung
in German

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Table of Contents

I N H A L T
I. Einleitung
II. Hauptteil
A. Dasein im Verfall
1. Verfallsprozeß in der Daseinsordnung
2. Mensch und Geist in der Krise
3. Verlust des Selbstseins
4. Geschichte, Wandel und Verfall
5. Am Abgrund. Die Grenzsituationen
6. Das Scheitern
7. Der Nihilismus
B. Der Weg in die Totalvernichtung
1. Auf dem Weg in die Erstarrung des Menschseins
(Technik und Mensch)
2. Die Situation angesichts des Vorhandenseins der
Atombombe
3. Gegen das mögliche Unheil
4. Unterwerfung oder Untergang
5. Totalitarismus oder Demokratie
6. Oligarchie in der BRD
7. Die Umkehr
III. Schluß und Ausblick

Edition Notes

Includes bibliographical references (p. 91-92).

Published in
Berlin

Classifications

Dewey Decimal Class
193
Library of Congress
B3279.J3 G36 1994

The Physical Object

Pagination
92 p. ;
Number of pages
92

ID Numbers

Open Library
OL878750M
ISBN 10
3861350076
LCCN
95165871
Goodreads
4164271

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