Kulturgenese als Dialektik von Mythos und Vernunft

Ernst Cassirer und die Kritische Theorie

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July 31, 2020 | History

Kulturgenese als Dialektik von Mythos und Vernunft

Ernst Cassirer und die Kritische Theorie

Zusammenfassung der Dissertation
Kulturgenese als Dialektik von Mythos und Vernunft: Ernst Cassirer und die Kritische Theorie
von Tobias Bevc

Der Ausgangspunkt der Arbeit ist die Beobachtung, daß die zwei in ihr untersuchten Theorien – die Kulturphilosophie Ernst Cassirers und die Kritische Theorie – sich zur gleichen Zeit den gleichen Gegenständen mit der gleichen Motivation zuwenden und dabei sehr ähnliche Theoriekonzepte ver-wenden. Hinzu kommt der Umstand, daß beide Theorien in der Forschung bisher nur selten in Ver-bindung gebracht wurden und wenn, dann immer nur mit dem Hinweis darauf, daß beide außer der Beschäftigung mit den Ursachen des Nationalsozialismus nichts gemein hätten, ja sogar wegen ihrer philosophischen Ausrichtung schlicht unvergleichbar seien. Diese Punkte waren Grund genug, beide Theorien hinsichtlich ihrer Erklärungsversuche der Kulturgenese, und der Entstehung und Wirkung des Nationalsozialismus zu untersuchen und, entgegen der Forschungsmeinung, ihre Vergleichbarkeit und Komplementarität zu postulieren. Das zweite Kapitel Der gemeinsame zeitgeschichtliche Erfahrungshori-zont arbeitet die Motivation und Entstehungsgründe beider Theorien heraus. Was die Kulturgenese angeht, interpretieren beide Theorien die abendländische politische Philosophie in Bezug auf eine Dialektik von Mythos und Vernunft. Mit dieser Interpretation verfolgen sie das gleiche Ziel: das Ver-stehen der politischen Ereignisse am Ende der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland. Das Verständnis dieser kulturellen Entwicklung durch die Untersu-chung der abendländischen politischen Philosophie ist der Versuch, die Ursachen dieser gesellschafts-politischen Entwicklung aufzuspüren, sowie darauf eine Antwort zu finden.
Abgesehen von diesen bisher übersehenen Parallelen stelle ich die These auf, daß beide Theorien be-züglich der Weltwahrnehmung und -strukturierung der Menschen übereinstimmen. Eine hermeneuti-sche Analyse der Schriften Cassirers und der Kritischen Theorie sollen diese Übereinstimmungen, aber auch die Differenzen und das Komplementäre beider Theorien verdeutlichen. Beide Theorien zusammengenommen, mit ihren Komplementaritätsverhältnissen bieten eine verbesserte Erklärungs-möglichkeit der Durchsetzung autoritärer, irrationaler und monisthischer Ordnungsvorstellungen ge-genüber solchen, die aufklärerischen, rationalen und demokratischen Werten verpflichtet sind. Durch den Vergleich dieser beiden Theorien der Kulturgenese möchte diese Arbeit einen Beitrag zum Ver-ständnis der kulturellen Bedingungen politischer Regression leisten, das erst durch die beiden kontro-versen Konzepte der Kulturgenese (Dominanz- und Inhärenztheorie), wie sie in beiden Theorien ver-treten werden, zu Tage tritt.
Der Vergleich macht weiter deutlich, daß Cassirers symbolische Formen, wie beispielsweise Mythos, Sprache, Technik, Kunst und Wirtschaft, als die grundlegenden Formen der Weltwahrnehmung und Weltgestaltung ebenso bei der Kritischen Theorie existieren. Dort sind diese Formen der Weltwahr-nehmung und -gestaltung jedoch nicht als „symbolische Formen“ elaboriert worden und bleiben dem-entsprechend ohne die philosophische Grundlage und Erläuterung, die sie bei Cassirer erhalten. Die „Ordnungs- und Wahrnehmungsstrukturen“ der Kritischen Theorie haben den symbolischen Formen Cassirers vergleichbare Aufgaben in der Konstruktion der Welt. Ebenso zeigt sich, daß beide Theorien
darin übereinstimmen, daß nur die Gewährleistung einer Pluralität dieser Formen eine realitätsgerech-te Konstruktion der Welt ermöglicht.
Das Weltaneignen kann immer nur dann reibungslos funktionieren, wenn der Prozeß des „Anei-gnens“ nicht behindert wird und eine Pluralität der symbolischen Formen gewähleistet ist. Dies gilt für beide Theorien. Das Weltverstehen benötigt verschiedener Formen des Welterfassens. Für diese For-men gilt, daß keine in der anderen aufgehen darf oder sich aus einer anderen ableiten läßt, denn jede von ihnen bezeichnet eine bestimmte geistige Auffassungsweise und konstituiert in ihr und durch sie zugleich eine eigene Seite des „Wirklichen“.
Die verschiedenen symbolischen Formen werden für beide Theorien je einzeln untersucht (Kapitel III.3 und Kapitel IV.2). In diesen Einzeldarstellungen sollen die genuinen Eigenschaften einer jeden symbolischen Form deutlich werden, ebenso wie der jeweils besondere Zugang zur Realität bzw. der Weltwahrnehmung. Auch soll dabei die Vergleichbarkeit und Komplementarität beider Theorie immer wieder gezeigt werden (Kapitel V).
Diese Formen der Weltwahrnehmung werden durch die Pathologie des Symbolbewußtseins zerstört (Cassi-rer) bzw. durch den Verblendungszusammenhang unmöglich gemacht (Kritische Theorie). Cassirer sieht diese Pathologie durch das dominant Werden einer symbolischen Form, des Mythos, ausgelöst (Do-minanztheorie). Die Kritische Theorie hingegen sieht den Verblendungszusammenhang als Ergebnis der kapitalistischen Einrichtung der Gesellschaft (Inhärenztheorie). Beide führen in autoritäre Regime. Ohne die Pluralität der Weltwahrnehmung wird die symbolische Realität unterkomplex-reduktionistisch und bietet sich somit als totalitäres Herrschaftsinstrument an. Dieser Distanzverlust beinhaltet aber auch einen Utopieverlust. Beide Theorien sprechen dennoch der Kunst und der Spra-che besondere Zugänge zur Wirklichkeitswahrnehmung zu, die selbst unter autoritären Regime die Artikulation von „Wahrheit“ zulassen. Während Sprache für Cassirer immer zugleich „die Morgenröte jeder Gemeinschaft darstellt“, sieht die Kritische Theorie im Gebrauch der Sprache eine Vorwegnah-me des „zukünftigen Vereins freier Menschen“. Der Kunst wohnt die Fähigkeit inne, so führen beide aus, Unartikuliertes zu artikulieren. Somit ist ihnen die Möglichkeit zum Widerstand gegeben.
Abschließend läßt sich formulieren: Der kulturellen Entwicklung ist es inhärent, daß sie, solange sie sich in Bahnen der bürgerlichen Gesellschaft bewegt, immer wieder dominante symbolische Formen ausprägt. Diese können im Einzelfall dazu führen, daß autoritäre Regierungen sich ausbilden und den Menschen die Möglichkeit einer freien und selbständigen Weltgestaltung und -wahrnehmung verweh-ren. Dies ist nur in einer, und ich denke, hier sind sich Cassirer und die Kritische Theorie einig, demo-kratischen Gesellschaft zu verhindern, in der eine gerechte Teilhabe an ihren ideellen und materiellen Gütern für alle gewährleistet ist.
Diese Erkenntnisse von der Notwendigkeit der Pluralität der Weltwahrnehmung und den kulturellen Bedingungen politischer Regression sind gerade wieder in Zeiten des Erstarkens mythisch-religiöser Weltbilder in vielen Teilen der Welt von großer Aktualität, und müssen im Zuge der gegenwärtigen Herausforderungen durch den Terrorismus immer wieder in das Bewußtsein der demokratischen Re-gierungen gerufen werden. Denn ist es doch gerade diese Pluralität und die Freiheit des Andersden-kenden, der die Demokratien grundsätzlich von den Terroristen und ihren Vorstellungen von der Ein-richtung der Welt unterscheidet, die es zu bewahren gilt.

Publish Date
Language
German
Pages
406

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Book Details


Edition Notes

Thesis (Ph. D.)--Universität, Augsburg.

Includes bibliographical references.

Published in
Würzburg, Germany
Series
Trierer Studien zur Kulturphilosophie -- Bd. 11

The Physical Object

Pagination
406 p. :
Number of pages
406

ID Numbers

Open Library
OL21101424M
ISBN 10
382602964X
Goodreads
6554713

Source records

amazon.com record

Work Description

Here you will find a review in english. The review is about two books about Cassirer. The second part is about Bevc's Kulturgenese: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=29576

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